Die Wahl des Stabes – Irrungen und Wirrungen Teil 3 – Wechsel in der Stablänge

Im letzten Teil (2) habe ich ausgeführt: Wenn zwei Stäbe eine unterschiedliche Länge haben und die Differenz 30cm beträgt (z.B. 4.60m und 4.90m), sind sie in etwa gleich hart, wenn bei der Kilogrammangabe eine Differenz von 7-8kg besteht; also ein 430/77kg ist vom Härtegrad etwa zu vergleichen mit einem 460/70kg oder ein 400/70kg mit einem 430/63kg. Bei einem Längenunterschied von 15cm  sind es  3.5-4kg, also ein 415/68 ist ähnlich einem 430/63, ein 415/73 ist ähnlich einem 430/68.

Wie aber verhält es sich nun genau mit Stäben unterschiedlicher Länge, wann soll man in der Praxis die Stablänge wechseln, wann nicht, und wie gestaltet man den Übergang?

Um diese Fragen zu beantworten, bedarf es viel Erfahrung, Beobachtung und Fleiss, denn die Kilogrammangaben und die Flex-Zahlen geben einem dazu praktisch keine Hilfestellung.

Mehr als 120 verschiedene Stäbe habe ich in der Garage meiner Eltern vermessen. Dazu kommen viele Jahre der praktischen Beobachtung, wie sich unterschiedliche Stäbe in den Händen verschiedenster Athleten verhalten.

Logisch wäre grundsätzlich der Denkansatz, von einem 430/73 auf einen 460/73 zu wechseln. Gleiche Kilogrammangabe, aber längerer Stab. Das wäre aber nicht sehr klug, denn wie bereits beschrieben, ist ein 30cm längerer Stab bei gleicher Kilogrammangabe und gleicher Griffhöhe etwa 7-8kg härter. In etwa gleich hart wie ein 430/73 wäre hingegen ein 460/66kg (minus 7kg von 73kg auf 66kg).

Vereinfacht wurde das ganze durch die Einführung von 15cm-Schritten. Der logische Schluss von einem 430/73 auf einen 445/73 zu wechseln, ist zwar immer noch ein grosser Schritt, aber nur noch halb so gross und damit nicht mehr ganz so unpassend.

Mit folgender Serie an Stäben: 415/75, 430/75, 445/75, 460/75 kann man mit minimalstem Budget z.B. für einen Zehnkämpfer schon etwas erreichen. Dieser Zehnkämpfer sollte etwa 73kg schwer sein. Als Stabspringer hingegen sollte man für so ein Set etwas leichter sein, etwa 70kg, weil man technisch besser springen sollte, als der Zehnkämpfer;-) Empfehlenswerter ist aber ein mit doppelt so vielen Stäben abgestuftes Sortiment (siehe ganz am Ende des Berichts).

Es kommt nun eine Problematik hinzu, die mit der Konstruktion der Stäbe zu tun hat: Das Biegeverhalten von Stäben verschiedener Länge ist nicht dasselbe. Vereinfacht gesagt, wenn man jeden Stab 10cm vom oberen Ende greift, fühlen die Stäbe sich vom Biegeverhalten her ähnlich an. (Wir sprechen bei solchen Vergleichen natürlich immer von Stäben derselben Produktlinie; das Biegeverhalten von Stäben verschiedener Hersteller oder Produktlinien ist, auch wenn die Stäbe gleich lang sind und man sie auf gleicher Höhe greift, unterschiedlich).

Das Problem liegt darin, dass man beim Wechsel der Stablänge in der Regel nicht die Griffhöhe um dasselbe Mass erhöht bzw. erhöhen kann. Wenn man z.B. mit einer Griffhöhe von 4.20m an einem Stab mit 4.30m Länge auf einen Stab mit Länge 4.60m wechselt, wird man nicht die Griffhöhe auf 4.50m erhöhen (um auch 10cm vom oberen Ende greifen zu können) – ausser man ist von erstaunlicher Dummheit.
Wenn der Athlet in diesem Beispiel aber den Stab der Länge 4.60m bei z.B. nur 4.25m greift, was nachvollziehbar wäre (Griffhöhe von 4.20m auf 4.25m erhöht), dann ist das Biegeverhalten ganz anders als beim 4.30m Stab, den er zuvor gesprungen ist. Das Beigeverhalten ist sehr viel schlechter, wenn der Stab 35cm vom oberen Ende entfernt gegriffen wird.

Weshalb das so ist, dass sich ein Stab im Biegeverhalten ganz anders anfühlt, ob man ihn 10cm oder 40cm vom Ende greift, wird Inhalt eines weiteren Beitrags sein. Hier sei so viel gesagt: Der Wechsel in der Stablänge sollte wann immer möglich nur 15cm betragen. Dann lässt sich die angesprochene Problematik schon stark reduzieren, also 4.00m -> 4.15m -> 4.30m -> 4.45m usw. Ein Schritt in der Stablänge von 4.30m zu 4.60m hat in der Regel eine längere Angewöhungszeit zur Folge, der Schritt von 4.60m auf 4.90 noch viel stärker. Die Angewöhnungszeit dauert meistens so lange bis der Athlet physisch so viel stärker geworden ist, dass er Stäbe 15-20cm höher greifen kann, er also den längeren Stab praktisch wieder mit seiner Griffhöhe „eingeholt“ hat. Als Beispiel: Der Athlet greift einen 4.30m Stab auf 4.20m. Er wechselt auf 4.60m Stäbe. Er wird erst dann wieder ein ähnlich gutes Gefühlt an einem 4.60m Stab haben, wenn er physisch so viel Fortschritte gemacht hat, dass er zumindest eine Griffhöhe von 4.35m springen kann. Zu Beginn, wenn er den 4.60m Stab auf 4.20m oder 4.25m greift, wird er einen grossen Unterschied feststellen, wie der 4.60m Stab sich biegt und verhält. Der 4.60m Stab wird sich nicht gleich anfühlen und es wird schwierig sein, dieselbe Technik zu springen, wie am 4.30m Stab. Das ist nicht Folge technischer Fehler, sondern weil das Biegeverhalten eines Stabes nicht dasselbe ist, wenn man einen Stab 30-40cm vom oberen Ende hält.

Der Athlet sollte zuerst auf 4.45m Stäbe wechseln, und erst wenn er seine Griffhöhe auf 4.30m erhöhen konnte, sollte er darüber nachdenken, ob er auf 4.60m Stäbe wechseln möchte. Es gibt keinen Grund 4.60m Stäbe zu springen, wenn man eine Griffhöhe von nur 4.30m hat, aber es gibt einen grossen Nachteil, das suboptimale Biegeverhalten wird es dem Athleten erschweren, seine Resultate zu verbessern.

Die Stabhochspringer wechselten von 4.00m Stäben auf 4.30m Stäbe und weiter auf 4.60m Stäbe, weil vor einem Jahrzehnt Stäbe der Länge 4.15m, 4.45m und 4.75m noch nicht so bekannt waren und weil diese vor zwei Jahrzehnten praktisch noch nicht existierten. Deshalb haben viele Vereine dies Stäbe (4.15m/4.45m/4.75m) nicht in ihrem Sortiment und die Verantwortlichen haben diese Stäbe nicht im Kopf, wenn sie neue Stäbe bestellen oder alte ersetzen.

Wie planen wir nun den Wechsel in der Länge der Stäbe konkret? Es gibt drei Wege.
Der komfortabelste aber auch teuerste Ansatz ist es so viele Stäbe jeder Länge zu bestellen, dass sich die Stäbe in der Härte überlappen. Zum Beispiel hat man 4.30m Stäbe und bestellt dann den weichsten 4.45m Stab ein bisschen weicher, wie den härtesten 4.30m Stab. Bei den 4.60m Stäben geht man gleich vor und bestellt den weichsten 4.60m Stab etwas weicher, wie den härtesten 4.45m Stab. Dadurch bestellt man pro Längenwechsel 1-2 Stäbe mehr. Das ist viel Geld, aber es ist komfortabel für die Athleten.

Der zweite Ansatz ist, den nächst längeren Stab mit einem Härtegrad zu bestellen, der demjenigen des vorangehenden Stabes entspricht. Zum Beispiel bestellt man den weichsten 4.45m Stab so hart, wie der härteste 4.30m Stab ist. Das kann man so machen, wenn man genug Informationen über Stäbe hat oder einen sehr guten Händler. Man muss zum Beispiel genau wissen, wie hart ein 4.45m Stab sein muss, um exakt einem 4.30m Flex 18.0 Stab zu gleichen. Ich kann das, weil ich über 120 Stäbe vermessen habe, aber ich kann es nur für UCS/Spirit Stäbe. Für Pacer oder Nordic habe ich nicht genug Daten und bin auf die Informationen der Hersteller Pacer und Nordic angewiesen. Dieser zweite Ansatz ist der passendste für die meisten Springer, weil man kein Geld aus dem Fenster wirft (wie beim ersten Ansatz) und weil man nicht riskiert, dass der nächst längere Stab viel zu hart sein wird. Selbst wenn der längere Stab etwas härter ist, ist das eigentlich genau das, was man haben wollte.

Der dritte Ansatz ist am besten für kürzere Trainingsstäbe und für absolute Experten. Man versucht herauszufinden wie hart der nächst längere Stab sein muss, um gerade ein bisschen härter zu sein als der kürzere Stab. Zum Beispiel wenn man einen 4.30m Flex 18.0 hat, sucht man nach einem 4.45m Stab, der etwa 0.5 Flex härter ist (gemessen als 4.30m Stab). Insbesondere für kürzere Trainingsstäbe spart dieser Ansatz viel Geld. Man kann ohne Weiteres von einem 3.60m Stab auf einen etwas härteren 3.75m Stab wechseln und so weiter. Man braucht keinen überlappenden Bereich in diesem Bereich des Stabsortiments. Wenn man einen sehr guten Händler oder genug Daten hat, kann man dasselbe auch für alle anderen Bereiche des Stabsortiments anwenden. Ich berechne zum Beispiel für meine weiblichen Athleten den Übergang von 4.30m Stäben auf 4.45m Stäbe und für meine männlichen Athleten von 4.60m Stäben, auf 4.75m Stäbe und 4.90m Stäbe. Die jeweils 15cm längeren Stäbe berechne ich dabei so, dass sie 0.2 bis 0.5 Flex härter sind als die kürzeren Stäbe. So bekommt man ein perfektes Set und spart Geld. Man braucht dazu einen erfahrenen Coach.

Zum Abschluss nach all diesen Problemen folgt eine einfache Empfehlung. Ohne Anspruch auf ein „perfektes“ Set, kommt man mit folgendem Sortiment an Stäben schon sehr weit. Alle Stäbe sollten mit mittlerem Flex gekauft werden, d.h. bei allen Stäben wird in etwa der Flex gekauft, welcher in der Mitte der möglichen Flex-Zahlen einer Kilogrammangabe liegt gekauft (ihr Händler sollte wissen was gemeint ist, wenn nicht, wechseln sie ihren Händler sofort oder lassen sie ihn beim Hersteller nachfragen).

400/68 -> 400/70 -> 400/73 -> 415/70 -> 415/73 -> 430/70 -> 430/73 -> 430/75 -> 445/73 -> 445/75 -> 445/77 -> 460/75. Der Algorithmus ist: Jeweils beim Wechsel in der Länge um +15cm eine Gewichtsangabe (2-3kg/5lbs) runter zu gehen.